Montag, 19. Oktober 2009

Messe in a bottle

Das ist also Ihre letzte Messe, sagen uns die Leute. Ich denke an Requiem und letzte Ölung. Und sage lächelnd: ja, genau. Wir müssen lächeln, Befehl von ganz oben. Sonst werden wir nach Hause geschickt. Ich habe das ja, um ehrlich zu sein, als Versprechen verstanden: Wenn ich nicht mehr kann, muss ich nur eine halbe Stunde griesgrämig gucken und dann darf ich nach Hause fahren. Aber dazu ist es dann doch nicht gekommen.

Abends auf dem Fest der Jungen Verlage ist es voll, richtig voll, rammelvoll. Es nervt und der einzige Vorteil ist, dass man weiß, man ist da, wo alle sind. Aber was da passiert und wer den Preis bekommen hat, das muss man am nächsten Tag in der Messezeitung nachschlagen. Aus der Damentoilette ragt, wie könnte es anders sein, eine Schlange. Eine der zwei Kabinen wird nicht benutzt. Die Spülung ist kaputt, sagt man. Ich gehöre zu der Sorte Mensch, die sich stoisch mit solchen Dingen abfindet. Aber hinter mir löst sich eine Aufgeregte aus der Schlange, eine adrett gekleidete Businessfrau, aber stilvoll, eine Managerin, eine Geschäftsführerin, mindestens Vertriebsleiterin, eine Macherin, jemand, der zupackt, der sich zuständig fühlt, der nicht einfach wegsieht. Sie gibt uns zu verstehen, dass sie das schon regeln wird. Und aus der Kabine hören wir kurz darauf, dass nur der Hahn nicht aufgedreht gewesen sei. Als die Macherin die Kabine verlässt, verkündet sie, dass das nun doch nicht so funktioniert habe, wie sie sich vorgestellt habe, aber man könne die Toilette trotzdem benutzen, wenn man nur das Papier wie sie daneben werfe. Als wir Wartenden sie wortlos anstarren, macht sie ein schnippisches Geräusch, das heißt: selber schuld, wenn Ihr lieber warten wollt, und wendet sich dem Wasserhahn zu.

Jemand fragt meine Kollegin, ob Pessoa heute nochmal an den Stand kommt.

Jemand von Suhrkamp umarmt mich stürmisch, weil er mich im Augenwinkel für meine Chefin hält. Als er mich scharf gestellt hat, erschrickt er und flüchtet.

An der Lesebühne vom Gastlandauftritt China sitzt ein Chinese und liest. Er schiebt der mittelalten Frau gegenüber einen Flyer hin. Sie sieht ihn fragend an. „I read.“ „O, you are the author?“ „Yes.“ Schweigen. „You live in Europe?“ „No. I live in China. And you, are you from here?“ „Yes, yes. From here.“ Sie zeigt auf den Hallenboden. „And what do you do?“ „I am a mother“, Pause, „and a, äh…“ „Housewive?“ „Yes, yes. A housewive.“ Ein schmales, langes Mädchen, das ich ungefähr auf dreizehn schätze tritt an den Tisch. „Is this your daughter?“ „Yes.“ „How old is she?“ „Äh, twenty.“ „Like my daughter.“ „You have a daughter?“ „Yes.“ „Good.“ „Yes.“ Der Chinese entschuldigt sich. Ich frage mich, ob sich Chinesen und Deutsche durch die Buchmesse näher gekommen sind.

Unser Waldschrat strandet nach einer Party in einer Suite im Luxushotel. Das war am Samstag wohl der Place to be, aber da war ich nicht da. Ich habe mich gleich auf die Messezeitung verlassen. Ich war bei einem wunderbaren bulgarischen Kinderbuchillustrator, der mit dem allerschönsten Akzent über jeden Stier, den er gemalt hatte sagte: Das ist mein Bruder. Er signiert mir ein Buch mit Planetenfressern und einem Kalb, das dem Mond auf dem Rücken hockt. Der Mond kann sich umdrehen soviel er will, das Kalb ist immer hinten und er kann es nicht sehen. Der alte Maler freut sich über meinen Pferdeschwanz. Er hat bestimmt auch mein Mondkalb darunter bemerkt. Es war nämlich nicht so schüchtern wie ich.