Samstag, 29. Mai 2010

Ehrenrettung eines Kantons

Der Aargau ist hässlich, langweilig, flach und von konservativen Landeiern bevölkert. Eigentlich ist er nur dazu da, dass man im Zug von Zürich nach Basel oder Bern in Ruhe frühstücken kann. Aussteigen? Im Aargau? Aber wozu denn? – Soweit die Meinung der Zürcher. Nun kann ich stolz sagen: Ich habe es gewagt. Fast zwei Tage habe ich in dem verrufenen Kanton verbracht, unterwegs zu Fuß und mit dem Fahrrad. Und ich kann nur sagen: Der Aargau wird seinem Ruf nicht gerecht. Es gibt Hügel, Flüsse, sehr hübsche Barockklösterchen und schnuckelige Altstädte.

Panoramablick auf Baden AG

Ich vermute, der Schweizer an sich ist so verwöhnt von den pompösen Berglandschaften, dass ihn eine Hügel- und Flussregion einfach nicht mehr vom Hocker reißt. Dass der Aargau als hässlich gilt, liegt natürlich nicht nur am Mangel an nennenswerten Erhöhungen, sondern vor allem an der Industrie. Das Panorama des Limmattals ist tatsächlich recht verschandelt durch die ganzen Fabriken. Und es gibt zugegebenermaßen auch merkwürdige Dinge im Aargau, viele Hundesalons zum Beispiel. Es gibt Taubenzüchter, die ihr weißes Prachtstück „Princess“ rufen. Und dass jeder Ort eine eigene Aktiengesellschaft ist, kann man natürlich kapitalistisch finden.

Aber es gibt im Aargau auch lässige Leute. Ich habe sie mit eigenen Augen gesehen! An einem Kiosk an der Limmat, der so was wie der obere Letten von Baden ist. Und es gibt zwar Atomkraftwerke im Aargau, aber dafür gibt es auch Atomkraftgegner. Mit ein paar Tausend davon habe ich am Pfingstmontag demonstriert. Natürlich kamen die nicht alle aus der Gegend. Einige waren wohl aus Zürich. Und einige waren aus Deutschland angereist. (Woran ich erkenne, dass sie angereiste Deutsche waren und keine Immigranten? Niemand, der hier lebt, würde so Dinge sagen wie: „Ich hab Dir doch gesagt, in der Schweiz geht alles langsamer, auch die Demonstrationen.“) Aber unter den 5000 müssen doch auch ein paar aufrechte Aargauer gewesen sein. Und dann gab es noch die Anwohner am Wegesrand, die uns mit Transparenten begrüßt und bei sengender Hitze mit Trinkwasser versorgt haben.

Wenn man alles in Betracht zieht und Altstädte gegen AKWs, Hundesalons gegen Hügel und Fabriken gegen Flüsse abwägt, muss man wohl mit Pater Brown Bilanz ziehen: hübsch-hässlich habt Ihr’s hier! Mich jedenfalls, die die Winter in Ostberlin kennt und die Fabriklandschaften Baden-Württembergs, kann das nicht abschrecken. Ich werde wieder mal im Aargau aussteigen. Auch wenn’s keiner meiner Zürcher Freunde versteht.


hübsch-hässlicher Radweg an der Autobahn

Mittwoch, 26. Mai 2010

Neulich im Ausgang

Keine Angst, liebe Deutsche, Ihr gewöhnt Euch noch an das Wort. Ihr müsst es nur noch ein paar Mal lesen oder hören und schon klingt es ganz normal und nicht mehr nach Gefängnishof oder grünen Exit-Schildern. Eigentlich heißt es ja auch Uusgang und nicht Ausgang, aber das kann man irgendwie nicht schreiben und schon gar nicht in einem ansonsten hochdeutschen Text. (Ich nehme mir an dieser Stelle fest vor, eines Tages einen Blogeintrag komplett und ernsthaft in Schweizerdeutsch zu verfassen. Vielleicht poste ich sogar eine unkorrigierte und eine professionell korrigierte Version - das wäre sicher lehrreich.) Es nimmt mich noch Wunder, ob mit der Deutschenschwemme nicht eh ein neues Pidgin entsteht, in dem Ausgang ganz normal tönt und man sich höflich für das Telefon bedankt, wenn man angeläutet wird.

Was ich aber eigentlich erzählen wollte, Achtung, ist dieses: Ich habe das Kaffee Burger von Zürich entdeckt. Der Spunten heißt Meyer's und befindet sich am Lochergut. Und wie alles in Zürich, ist es natürlich noch viel besser und viel originaler als die Berliner Inkarnation. Im Meyer's kann man schon abends um 10 Koordinationsschwierigkeiten und Kommunikationsbedürfnisse (verbaler und physischer Natur) beobachten wie im Kaffee Burger morgens um halb fünf. Noch während meine Mitbewohnerin und ich an einem Freitagabend unsere Fahrräder an der Ecke abstellen, kommt ein Mann mit Hund auf uns zugeschossen und fragt, ob wir ins Meyer's wollen. Denn in dem Fall müssten wir nach der ersten Stange gleich wieder rauskommen und einen mit ihm kiffen. Unbedingt.

Innen haben wir noch nicht einmal richtig an der Bar Platz genommen, schon sind wir mit unseren Nachbarn in eine Diskussion über das angemessene Getränk und die universelle Unaufrichtigkeit verwickelt. (Trinken: Was schon? Natürlich geht nur Bier in irgendeiner Form. In schummrigen Laden mit dunkel gebeizter Holzbar und bunten Lampen trinkt man doch keinen Sekt-Aperol! Unaufrichtigkeit: Führen wir nicht alle ein Doppelleben?) Einer von beiden trinkt jedenfalls den ganzen Abend Cola, die er mit einem bunten Cocktail-Stäbchen umrührt, vielleicht damit die Kohlensäure rausgeht. Vermutlich versucht er, wieder nüchterner zu werden - der Abend ist ja schließlich noch jung. Er hängt fast auf dem Tresen, richtet sich immer mühsam auf, um das Glas zum Mund zu führen und stößt sich dabei jedesmal das giftgrüne Stäbchen neben dem rechten Auge tief in die Wange. Er fragt uns aus und hat zu allem einen Kommentar in petto. Buchbranche? Jaja, John Irving hat ein neues Buch geschrieben, das ist wohl genau der gleiche Scheiß wie die anderen von ihm, und auch genauso lang, hab ich gehört, das muss ich doch nicht lesen. Was liest du denn gerne? Martin Suter? (Nein.) Thomas Hürlimann? (Ja. Und dann auch noch ein paar nichtschweizerische Autoren, aber lassen wir das...) Und wenn ich jetzt ein Buch schreiben würde, müsstest du dann entscheiden, ob man das druckt oder nicht? (Bitte, bitte schreib kein Buch!) Aber kannst du das überhaupt, woher willst Du denn wissen, ob das gut ist oder nicht? Wenn Du jetzt mein Buch ablehnst, und dabei ist das der Hammer und wird ein Bestseller, dann ärgerst du dich doch. Fliegst du dann raus?...

Sein Kumpel ist wesentlich nüchterner, wesentlich wortkarger und wesentlich sympathischer, aber viel weniger unterhaltsam. Der Mann mit Hund gesellt sich schließlich auch noch zu uns. Er ist ein Engelmedium, findet die Schweizer Flüchtlingspolitik faschistisch und hat eine deutsche Fast-Ex-Freundin. Du bist übrigens auch ein Engel, sagt er. Ich sage, ja schon, aber nur als Metapher. Er sagt, jaja, genau, eine Metapher. Ich wüsste furchtbar gerne, was die Engel so erzählen (vor allem, wenn sie eigentlich Metaphern sind - endlich Einblick in das geheime Innenleben der Metaphern!), aber er will keine konkreten Informationen herausrücken.

Nach einigem Hinundher und sehr merkwürdigen Diskussionen endet der Abend so: Der Colatrinker kommt nach dem Rauchen mit dem Engelmedium einfach nicht zurück, seine Jacke ist noch da. Der ruhige Kumpel versucht es erfolglos auf seinem Handy. Das Engelmedium selbst wird von seiner deutschen Fast-Ex-Freundin angerufen und versinkt in einem wirren Krisengespräch. Wir nutzen die Gelegenheit zum Aufbruch.

Wie gut, dass ich jetzt weiß, wo man hier so hingeht, wenn man mal dringend auf der Suche nach (absurden) Gesprächspartnern ist, und wie gut, dass man gar nicht bis halb fünf wach bleiben muss.

Mittwoch, 5. Mai 2010

Nostalgie und Tränengas



Am 1. Mai war ich demonstrieren. Es ging gegen die Banken, also gegen Boni, gegen Schwarzgeld und gegen Staatshilfen zur Rettung von Geldinstituten. Als ich mich auf den Weg machte, wusste ich das allerdings noch gar nicht so genau. Ich ging hin, weil 1. Mai war, und am 1. Mai geht man nunmal raus (wenigstens 1 Mal im Jahr) und zeigt, dass man noch da ist, dass man noch links ist und sich immer noch mehr soziale Gerechtigkeit wünscht. Das Linkssein wurde mir dann aber doch zum Problem, als ich, in einem Meer von roten Fahnen stehend, von der venezolanischen Frauenministerin mit donnernder Stimme darauf hingewiesen wurde, dass in Venezuela des Sozialismus des 21. Jahrhunderts entstünde. Vier Frauen seien dort an der Macht – neben dem Commandante Hugo Chavez. Ohne viel über Venezuela zu wissen, machten mich allein ihre Emphase und ihre faktenarme Rede misstrauisch, ganz zu schweigen von dem Personenkult um Chavez. Später sangen um mich herum mit gereckten Fäusten Kleinunternehmer, Selbstständige und Wissenschaftler die Internationale. Naja, ok, 2 VBZler (öffentlicher Nahverkehr) waren auch in Sicht. Ich, Gewerkschaftsmitglied, schwieg.



Auch wenn ich inhaltlich mit den Forderungen der anderen Rednerinnen (die grüne Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber und die Gewerkschaftsfunktionärin Vania Alleva) hundertprozentig übereinstimme, störte mich doch der anachronistische Schleier, der unverkennbar über der ganzen Veranstaltung lag. Pathos und Ästhetik stammten direkt aus Blockzeiten. Im Tagesgeschäft herrscht bei Gewerkschaften und Parteien Pragmatismus; einmal im Jahr braucht man offenbar ein wenig Nostalgie. Solange die bürgerlichen Parteien die 'gute alte Zeit' und ihre Werte gepachtet haben und die religiösen die Transzendenz, kommt die Linke offenbar vom Klassenkampf nicht los.

Ebenfalls anachronistisch und wirklichkeitsfern erschienen mir die Straßenschlachten, die sich am späteren Nachmittag im Langstrassenquartier entzündeten. Als kreuzberggestählte Zuzüglerin war ich mir sicher, dass mich nichts überraschen kann. Ja, eigentlich hatte ich all die Befürchtungen und Warnungen im Vorfeld, all die noch immer entgeisterten Erzählungen von den Ausschreitungen der Vorjahre für maßlos übertrieben gehalten, für einen Reflex gegen alles, was die schweizerische Ordnung und Gemütlichkeit stört. (Und im Zweifelsfall ein willkommener Anlass für gewisse Leute, nach mehr Polizeipräsenz zu rufen.)Doch wie schon im Hinblick auf das Fahrradfahren im Autoverkehr musste ich einsehen, dass Zürich doch das härtere Pflaster ist. Wirklich wahr. Die Polizei sah genauso vermummt aus wie gewohnt, nur in blau. Und sie ging härter vor als die Berliner Cops (zumindest in den letzten Jahren): Wasserwerfer wurden sowieso eingesetzt, aber auch Tränengas und Gummigeschosse. Kreuzungen wurden innerhalb von Sekunden abgeriegelt, Menschen eingekesselt. Ausscherer und Provokateure lagen in Nullkommanichts unter einem Menschenhaufen aus wütenden Zivilbeamten. Es war so ungemütlich, dass ich nicht einmal lange zusehen wollte (und das lag nicht am Regen).

Das eindrücklichste Erlebnis an diesem Tag waren aber nicht die roten Fahnen oder die schwarzen Gesichtsmasken, sondern das unwahrscheinlich und fast erschreckend leuchtende Grün der nassen Blätter und Wiesen, das mich auf dem Nachhauseweg am Sihlufer umgab. Man sollte viel öfter im Regen spazieren gehen; Nostalgie und Tränengas reichen dann doch einmal im Jahr.