Freitag, 25. Dezember 2009

t = -4 (Berlin-Bashing I)

Noch vier Tage bis zum Ereignis. In vier Tagen beginnt ein Selbstexperiment mit ungewissem Ausgang. Zum ersten Mal seit meiner Flucht werde ich Berlin betreten.

Wenn ich in Zürich erzähle, dass ich zehn Jahre in Berlin gelebt habe, fangen immer alle Gesichter auf diese seltsame Art zu leuchten an. Wow, sagen sie, Berlin. Das war bestimmt toll. Ich sage, ich bin froh, dass ich da weg bin. Die Gesichter werden zu Fragezeichen, sehr großen Fragezeichen. Ich setzte zu längeren Erklärungen an, die von meinem Gegenüber stets mit eifrigem Kopfnicken begleitet werden. Das Fragezeichengesicht bleibt. Ich kann mich nicht verständlich machen. Berlin ist ein Sehnsuchtsort für die Zürcher, eine Legende, das Shangri-la and der Spree. Ein Gegenentwurf zum beschaulichen Leben in der Stadt am See, dreckig, riesig, voller Verrückter, cool und szenig und einfach in allem anders als Zürich und viel urbaner.

In der gestrigen NZZ schreibt die Wahlberlinerin Iris Hanika „Vom Glück der grossen Stadt“ und nur wer den verklärten Blick der Zürcher auf das dicke B nicht kennt, wundert sich, dass die Zürcher Tageszeitung 4000 Zeichen Platz hat für eine Berlin-Kolumne. Die Autorin findet, es sei die große Auswahl an seltsamen und verrückten Menschen, die das Metropolen-Gefühl ausmache. Sie findet es schön, „unter so vielen Verrückten leben zu dürfen. Weil ich mich dabei so normal fühlen kann. Ich bin nicht allein.“

Bei mir ist es umgekehrt. Ich fühle mich in Berlin nicht normal, weil ich nicht normal bin. Ich passe mich sofort und automatisch an die lokalen Gepflogenheiten an. Ich beginne, Busfahrer anzublaffen, Leute anzurempeln, die mir auf der Treppe entgegenkommen, und bei jeder Gelegenheit auf den Boden zu spucken. Ich führe laute Selbstgespräche und drehe mitten auf der Straße um. Ich laufe lange Strecken, um zu einem fettfreien Latte zu kommen. Ich fühle mich beobachtet. Ich bekomme nervöse Zuckungen. Ich kaue Nägel in der Öffentlichkeit. Ich sage Geilomat und muss mich dann selber ins Gesicht schlagen. Ich esse Nutella aus dem Glas. Ich bewerfe Passanten mit Backsteinen und freue mich wie eine Waldhexe, wenn sie bluten.

Und ich fühle mich in Berlin übrigens trotzdem alleine, denn wir Verrückten reden ja nur mit uns selbst und nicht mit den anderen. Gut wohne ich jetzt in Zürich. Da denken alle, ich sei normal, nur weil ich nett bin und grüße und nicht spucke und nur mit mir selbst rede, wenn sonst keiner zuhört. Und wer Groys gelesen hat, weiß, dass die Annahme, dass es sich bei meiner Berliner Persönlichkeit um mein wahres Ich handeln muss, weil es hässlich und gemein ist, eben nur ein Verdacht ist. In Wahrheit bin ich die reine Oberfläche und Ihr wisst gar nichts. Achtung Backstein! Hihihi.


Berlin - wo sich selbst die Statuen anbrüllen

1 Kommentar:

  1. Hoffentlich bist Du (in zwei Stunden, oder so) gut wieder angekommen in Zürich! Und auch, wenn Berlin gerade nicht Deine Wahl- oder sonstige Heimat ist...es war wunderschön, Dich mal wieder da zu haben.
    Vermisse Dich hier schon ein bisschen...bis bald.

    AntwortenLöschen