Dienstag, 15. Dezember 2009

Überwindung

Ich geb’s ja zu, das Blog wird fad. Die Entdecker-Euphorie ist vorüber, der Alltag hat eingeschlagen und am Wochenende rodeln oder wandern ist einfach erholsamer als darüber nachzugrübeln, was ich der Welt Neues zu erzählen habe.

Ich könnte erzählen, dass ich im Schweizer Fernsehen war. Alle haben’s gesehen außer mir. Mein Turbointegrierten-Geschwätz haben sie allerdings rausgeschnitten; es passte nicht in die These der Sendung, dass sich die Deutschen hier bedroht fühlen oder ungeliebt. Jedenfalls hätte sich das Integrationsbüro bestimmt nicht zu dem beschwichtigenden Brief genötigt gefühlt, wenn mein Beitrag drin geblieben wäre. Ich wundere mich allerdings, dass es keinen Beschwichtigungsbrief nach der Minarett-Abstimmung gab. Oder haben den nur Muslime bekommen? Aber woher wollen die wissen, dass ich keine Muslimin bin?

Zumal nicht mal meine zuständige Gemeinde weiß, dass ich auf dem Papier Protestantin bin und damit eigentlich ein Schäfchen. Eigentlich sogar ein zu rettendes Schäfchen, wenn man mal den Grad meiner Abtrünnigkeit betrachtet. Nein, die Kirchengemeinde Wiedikon weiß nichts von mir. Aber mit einem ansprechenden Plakat fordert sie mich auf: Überwinde das Böse durch das Gute. Die Farbsymbolik des Banners ist geradezu parodistisch. Während zuerst das Böse farblos und das Gute bunt hinterlegt ist, verkehrt sich das in der Wiederholung ins Gegenteil. Hmm, was uns das wohl sagen will?



Außerdem ist auch der Informationsgehalt des Ganzen relativ gering. Ersetzt man, wie meine Mitbewohnerin vorschlägt, „das Böse“ mit einem beliebigen Substantiv und „das Gute“ mit dessen Gegenteil, erhält man immer ein sinniges Lebensmotto. Es ist geradezu ein Sinnspruchautomat. Überwinde die Faulheit durch den Fleiß. Überwinde den Stillstand durch die Bewegung. Überwinde die Angst durch den Mut. Überwinde die Ignoranz durch die Weisheit. Überwinde die Liebe durch den Haß. Überwinde die Feindschaft durch die Freundschaft. Überwinde das Sein durch das Nichts. Überwinde den Fortschritt durch die Regression. Großartig.

Übrigens ist die Schweiz ist nach wie vor mein Paradis, meine heile Welt, mein Mekka. Ein Land, das Lindt-Schokoladen und Greyerzer-Käse hervorgebracht hat, kann nicht böse sein. Ja, das gilt auch nach der Minarett-Abstimmung noch. Obwohl ich das Ergebnis schockierend finde, halte ich es nicht für genuin schweizerisch. Im Gegenteil, die nun entsetzten Nachbarländer können nur froh sein, dass Ihre Bevölkerung nicht abstimmen darf. Häme ist jedenfalls nicht angebracht. Punkt. Ich mag jetzt langsam echt keine Witze mehr hören über die Schweizer Turmphobie. Und wenn noch einer Hinterwäldler sagt, kriege ich Pusteln. Überwinde den Ausschlag durch die reine Haut. Ommm.

5 Kommentare:

  1. Fantastische Maschine. Ich habe sie auch gleich ausprobiert:
    Überwinde das Gegenteil durch das Gegenteil.
    Seitdem läuft mein Denken wieder rund wie ein Perpetuum Mobile.
    Überwinde den Teufelskreis durch zwei Parallelen, die sich im Unendlichen treffen und dort zu Gott finden. Hallelujah! Überwinde den Boden durch die Bodenlosigkeit.

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  2. Liebste Schweizfreundin! Lese Deinen Blog nun zum 4. Mal - weiss gar nicht mehr, wie ich drauf gekommen bin - und finde diesen Beitrag hier sehr gelungen!! Bin auch Deutsche und dank der Auslandserfahrung in Zürich zum ersten Mal im Leben auf eine medial uncharmante aber menschlich doch sehr freundliche Art auf meine Nationalität aufmerksam gemacht worden. Seit fast zwei Jahren bin ich nun verliebt in Zürich und seit einem wunderbaren Jahr noch mehr verliebt in einen Berner... Wart, wart,...vielleicht passiert Dir das auch noch :-) Mir hats jeder direkt prophezeitt und ich immer - nein, nein. Und dann - pamm! Und jetzt lern ich Berndütsch und nach genug Deutsch-Schweizerischen Diskussionen werden die Unterschiede auch nicht mehr überthematisiert (was das eigentliche Problem nämlich ist).
    Oh, jetzt bin ich abgeschweift - wollte Dir nur sagen, dass ich Deinen Text toll und lustig fand und richtig schmunzeln musste! Fühl mich Dir verbunden! Die liebsten Grüsse!!
    Die andere Schweizfreundin

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  3. Schöne Plakat-Beobachtung, sowohl was die Farben, als auch was die Gegensätze angeht :)

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  4. Liebe andere Schweizfreundin,

    ich freue mich unheimlich über Deinen Kommentar! Erstens finde ich es prima, dass Dir mein Blog gefällt (das finde ich natürlich immer gut, aber in Deinem Fall besonders, weil Du ja immer und in jeder Hinsicht weißt, worum es geht). Zweitens kann ich Dir auch nur zustimmen, dass die Unterschiede überthematisiert werden. Zum Beispiel das "Bestellthema", immer präsent wo es um Deutsche in der Schweiz geht; und dabei meiner Meinung nach ein echter Nebenschauplatz. Ich jedenfalls habe auch in Deutschland noch nie mit den Worten "Ich bekomme ein Bier" geordert. Und drittens machst Du mir Hoffnung auf eine Schweizer Liebe. Da bin ich sowieso für zu haben, an mir soll es nicht liegen und Prophezeiungen gibt es auch schon genug ... ;)

    Ich wünsche Dir schöne Feiertage und einen guten Start ins neue Jahr. Und ich freue mich jederzeit über neue Kommentare.

    Liebe Grüße,
    pogsada

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  5. Steuerhinterziehung. Wer hat' s erfunden...?

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