Samstag, 3. April 2010

Blogschwund

Dies ist eine Hommage an all die Blogleichen, die es nie ans Tageslicht geschafft haben. Eine Schweigeminute für all die perfekt geschliffenen Formulierungen, die im Sarg meines Tschibo-Laptops vermodern. Für all die Loner und Loser und Nerds unter den Postings, die sich nicht auf die Tanzfläche trauen.

Was ist nur geschehen?

Berlin Bashing II und III wurden von der Stadtrealität eingeholt und überholt. Sie trauten sich plötzlich nicht mehr, rein rhetorisch gegen diesen Ort zu wettern, den sie innerhalb weniger Tage doch wieder lieb gewonnen hatten. Das Post über das Schweizer Essen findet sich übergewichtig und möchte erst zehn Kilo abnehmen, bevor es sich zeigt (Mit Atkins??? Das ist doch Schwachsinn!). Das Sprachblog fürchtete sich vor Rassismus-Vorwürfen and decided to go native altogether. Es ist im Urwald verschwunden und hat sich seither nicht mehr blicken lassen. Die Fortsetzung von der Basler Fasnacht hat der Frühling gefressen und das Blog über die Zürcher Wahlen hat aus Angst und Zweifel den richtigen Zeitpunkt verpasst. Ach, wenn Ihr doch nur direkt in meinen Kopf sehen könntet! Dann würdet Ihr dort diesen bunten Totentanz sehen und all die Texte, die schöner und spannender und wahrer sind als alle veröffentlichten.

Ich bin keine Künstlerin geworden, weil ich dazu etwas hätte produzieren müssen. Doch die unzähligen Gemälde, Skulpturen, (Tanz-)Performances und Kleider haben es niemals aus meinem Kopf hinaus geschafft. Draußen wären sie fehlbar geworden. Sie wären plötzlich abhängig von der Beschaffenheit eines realen Materials gewesen und von meinem handwerklichen Können. Ein Verrat – denn sie hätten niemals so aussehen können wie in meinen Gedanken.

Lange Zeit dachte ich, Worte wären die Abkürzung. Siri Hustvedt erschafft in den Köpfen ihrer Leser ganze Kunstwelten ohne den Umweg über Ölfarbe, Pappe oder Plastik (z. B. in „Was ich liebte“ oder in „Die Verzauberung der Lily Dahl“). Die Wirkung dieser Kunstwerke ist real; sie wirken genauso stark oder noch stärker als wirkliche Bilder – wozu braucht es also noch echte, fehlbare, zerstörbare Werke? Obwohl ich selbst mindestens zwei Denkfehler erkenne, fällt es mir doch schwer, mich von der Vorstellung einer Direktübertragung von Kunst zu verabschieden. Der erste Fehler ist: Material ist nicht das Problem der Kunst, sondern ein prägender Teil von ihr. Der zweite Fehler ist: Auch Worte sind Material und auch Worte sind fehlbar.

Und so bleiben manche meiner Posts lieber im Versteck hinter der Stirn und spickeln nur manchmal verschämt durch den Vorhang. Auch wenn sie keine Kunst sind, perfekt wären sie trotzdem so gerne.



... gilt tagsüber auf dem Brocki-Hof, nachts im Club und zu jeder Zeit auf kaffeeundgipfeli.

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