Mittwoch, 21. April 2010

Sechseläuten - Schweizer Brauchtum III


Die Schweizer verkleiden sich gerne. Ob das wohl mit einer umfassenden und uralten Schweizer Identitätskrise zu tun hat? Bestimmt. Aber das ist ein anderes Thema und dazu ein andermal. Vergangenen Montag jedenfalls marschierte ein Haufen Männer in historischen Kostümen zu Blasmusik durch die Zürcher Innenstadt. Manche waren auch hoch zu Ross unterwegs. Sie trugen Lockenperücke und Gehröcke, große Hüte, Hellebarden und, äh, Palästinensertücher. Ja, einige waren als Araber verkleidet, aber ungefähr so liebevoll, wie ich und mein Bruder in jenem Jahr, als der Kinderfasching so plötzlich und unerwartet kam. Ein Nachthemd, ein Pali-Tuch, eine schwarze Kordel mussten als Notlösung herhalten. Ich habe dann altklug verkündet ich sei ein Scheich aus der Wüste, während mein vier Jahre älterer Bruder vermutlich würdevoll den vollständigen Namen von Hadschi Halef Omar rezitierte.

(Natürlich wäre ich viel lieber als Prinzessin gegangen, aber vermutlich fand meine Mutter das irgendwie unemanzipiert und süßlich. Nur einmal durfte ich tatsächlich ein rosa Rüschenkostüm tragen, musste aber wegen der Kälte eine braune Mütze dazu aufsetzen, die natürlich das gesamte Outfit zerstörte. Vermutlich fühlte meine Mama so ähnlich wie dieser geplagte Vater und dabei gab es doch damals noch gar keine Prinzessin Lillifee. Naja, zurück zu Hadschi Halef Omar.)

Von Karl May schien irgendwie auch das Orientbild dieser Zürcher Reiter zu stammen. Sie gehörten der Zunft zum Kämbel an, die ein Kamel im Wappen trägt. Es handelt sich um eine Händler- und Fuhrleutezunft und so scheint es zunächst halbwegs logisch zu sein, dass sie sich das Kamel als Wappentier gewählt haben… Lastentiere, Karawanen usw. Doch ursprünglich bedeutete Kämbel gar nicht Kamel, sondern Angoraziege, weiß Wikipedia. Warum eine Angoraziege allerdings ein sinniges Wappen für eine Händlerzunft sein soll, lässt die Netzenzyklopädie offen. Jedenfalls gab es vermutlich keine frühzeitigen Nahostkontakte der Zunft zum Kämbel und somit ist die Karl-May-Assoziation ja recht angebracht...


Das Sechseläuten ist der Tag der Zünfte. Von denen gehen einige tatsächlich auf Handwerkervereinigungen zurück, wie man als Laie erwarten würde. Aber daneben gibt es auch eine Gesellschaft der Edelleute und Ritter, die Gesellschaft zur Constaffel (das sind die Jungs mit den Hellebarden und den Kettenhemden aus graubesprühtem Grobstrick), und Quartierszünfte, die sich nicht auf ein Handwerk, sondern auf ein Stadtviertel berufen. Heutzutage wird die Mitgliedschaft in der Zunft in den Stadtzürcher Familien vererbt und hat gar nichts mehr zu tun mit einem erlernten Handwerk. Von daher wird auch verständlich, warum vielen die Zünfte und das Sechseläuten als rückständig und elitär gelten.

Und, nicht zu vergessen, frauenfeindlich. Denn im Umzug dürfen keine Frauen mitgehen. Jedenfalls eigentlich keine über 12 oder so, denn kleine Mädchen mit Perücken sieht man zuhauf, eines wird sogar in einer Sänfte durch die Gegend geschleppt. Aber offenbar wird die Altersgrenze nicht so streng gehandhabt: Kindergärtnerinnen für die Kleinen dürfen mitgehen, Blumenträgerinnen und (unkostümiert) auch Politikerinnen (vgl. Video). Doch die Ende der 80er Jahre gegründete Frauenzunft durfte bislang nie am Zug der Zünfte teilnehmen, sondern musste ihren eigenen Umzug eine halbe Stunde vor dem offiziellen Beginn durchführen. Für 2011 sind sie nun zum ersten Mal (und zunächst nur für ein Jahr auf Probe) zum Hauptzug geladen worden. Ansonsten sind Frauen beim Sechseläuten vor allem dazu vorgesehen, den Marschierenden Blumen zu bringen.


Ich persönlich verkleide mich ja auch gerne und habe den Prinzessinnen-Tick vor kurzem abgelegt. Insofern wäre ich sofort zu haben für eine Ausländerzunft oder eine Praktikantenzunft. Naja, da das Zürcher Prekariat ja inklusive mir aus ca. 3 Leuten besteht, vielleicht lieber eine Ausländerzunft. Wir könnten uns ja alle wie Karl-May-Charaktere verkleiden und würden dann kaum auffallen.

Das Sechseläuten endet auf dem Sechseläutenplatz, wo auf einem riesigen Scheiterhaufen ein künstlicher, mit Knallkörpern gefüllter Schneemann, der Böög, verbrannt wird. Die Zeit vom Anzünden des Holzes um 18 Uhr bis zur Explosion des Kopfes wird als Omen für den kommenden Sommer gewertet, je länger es dauert, desto verregneter der Sommer. Während des Feuers galoppieren die falschen Araber und andere Zünftler um das Feuer herum. Es ist eine ziemlich laute und ziemlich heidnische Angelegenheit. Wenn das Feuer später heruntergebrannt ist, findet noch ein wildes Würstchengrillen am Scheiterhaufen statt. Währenddessen besuchen sich die Zünftler noch die halbe Nacht gegenseitig in ihren Zunfthäusern in der Altstadt, immer mit Blechbläsern im Schlepptau. Solch merkwürdige Bräuche gibt es in der Schweiz. Aber dieser hier fand wenigstens mal zu einer akzeptablen Tageszeit und bei Sonnenschein statt.

hier den Böög explodieren sehen

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