Dienstag, 3. November 2009

Kranksein

Immer, wenn ich krank bin, begebe ich mich auf die Suche nach Friedhöfen. Ich vermute, es liegt weniger an der Nahtoderfahrung von 38,6 Fieber als daran, dass Friedhöfe einfach gute Spazierziele sind und spazieren gehe ich nur, wenn ich krank bin. Das ist ja auch das einzige, was man dann so tun kann, und es soll auch guttun, sagt man zumindest.

Und auch wenn also die Ausarbeitung von Bestattungswünschen nicht das oberste Ziel dieser Gänge ist, macht man sich eben so seine Gedanken. Zum Beispiel habe ich vor kurzem beschlossen, dass ich im Sarg erdbestattet werden möchte und nicht verbrannt, obwohl in das in meiner Familie aus irgendeinem Grund schon seit Jahrzehnten als common sense gilt. Aber mir gefällt die Vorstellung, dass ich von Würmern zerfressen werde und zerfalle und aus meinem Fleisch Gras und Bärlauch wachsen. Außerdem möchte ich einen lebensgroßen Steinengel mit geneigtem Kopf auf meinem Grab haben. Nicht, dass ich an Engel glauben würde oder auch nur an Gott, aber die sind einfach schön.

Auf meinen Streifzügen ist mir aufgefallen, dass Zürich nicht nur zum Leben eine tolle Stadt ist. Mein neues Hinterland bietet mehrere Möglichkeiten von wirklich schönen letzten Ruhestätten. Komisch, dass man einen idyllischen Platz dafür haben möchte, am besten noch mit Aussicht. Eigentlich könnte einem das doch vollkommen egal sein, schließlich sieht man ja nichts mehr und liegt sowieso 1,5 Meter unterhalb von Aussicht und Idylle. Eigentlich könnte man doch praktisch denken und sich dort begraben lassen, wo es die Angehörigen nicht weit haben. Oder man könnte sagen: ist mir doch egal, was dann ist, sollen die mit mir machen, was sie wollen und sowieso sollten die schönen Plätze lieber zum Leben benutzt werden als zum Totsein. Aber irgendwie gefällt mir die Idee, dass meine Angehörigen, wenn sie mich sehen wollen, nach Zürich reisen und dann die Bachtobelstrasse hinaufpilgern müssen, vorbei an den wunderschönen, putzigen Einfamilien-Reihenhäusern mit Vorgärten, hinter deren idyllischen Fassaden es ganz sicher gärt. Im Anblick der Häuschen würden meine Angehörigen bedächtig mit den Köpfen nicken und keuchen (denn sie wären vom Anstieg außer Atem): Jaja, das war immer ihr Traum, aber sie hat halt Pech gehabt. Und ich würde mich oben am Uetliberg im Grabe herumdrehen und murmeln: Nein, Pech habe ich nicht gehabt, sondern Glück. Der Traum war fehlerhaft.

Die Frage ist allerdings, wie lange ich als Ausländerin hier leben muss, bevor ich mich auf einem Schweizer Friedhof begraben lassen darf. Also, moralisch gesehen, meine ich. Nicht, dass es dann in der Presse heißt: Die Deutschen nehmen uns die Jobs weg, die Frauen und jetzt auch noch die Gräber. Joyce war, glaube ich, insgesamt nur 4 Jahre da und ist trotzdem ein beliebter Zürcher Begrabener. Vermutlich würde es also helfen, wenn ich dicke Bücher schreiben könne und berühmt werden würde. Das würde sowieso helfen. Andererseits könnte ich mich auch immer noch darauf berufen, dass ich niemandem die Frau weggenommen habe und bis jetzt auch keinen ordentlichen Job, vielleicht lassen sie mir das Grab dann durchgehen.

2 Kommentare:

  1. Sich erdbestatten lassen finde ich auch sehr richtig. Verbrennen hat so etwas von: "Bitte, macht euch keine Umstände, beseitigt mich doch einfach schnell, effizient und ohne dass etwas übrigbleibt." (In unseren Fällen müsste man dann überlegen, ob die Texte bleiben oder auch gleich mitverbrannt werden sollen.)
    Mit dem Schweizer Grab solltest du dich gedulden. Ausländern wird moralische Berechtigung egal in welcher Angelegenheit stets nur nach Einzelfallprüfung und aus Kulanz gewährt. So ist das jedenfalls in Deutschland, wenn ich richtig informiert bin.
    Wieder ein schöner Text, diesmal mit einer ganz leicht morbiden Note, die gefällt. Darf man zur überstandenen Krankheit gratulieren?

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  2. Ich finde, Du solltest Dich so oder so mit dem Ganzen noch 'etwas' gedulden ;)
    Tut mir leid, dass Du krank warst...schon wieder, oder immer noch?

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