Donnerstag, 26. November 2009

Mein Eintritt in die Parallelgesellschaft

Ich bin vorgestern erfolglos integriert worden, ach nein, begrüßt worden bin ich, und zwar herzlich, außerdem erfolgreich abgefüllt und in die Parallelgesellschaft gedrängt. Was da stattfand war ja auch gar nicht der „Integrationsapéro“, eine Bezeichnung, die sich nur bei den Betroffenen eingebürgert hatte, sondern ein "Begrüssungsapéro". Von Integration war also nie die Rede gewesen.

Wer mich und 239 andere Ausländer da begrüßt, das ist die Stadt Zürich höchstpersönlich und zwar in Gestalt dreier Damen mit vielfältigen Sprachkenntnissen. Integrieren könnten sie uns sowieso nicht, denn wir sind eindeutig in der Überzahl. Stattdessen verkünden sie in unzähligen Idiomen Allgemeinplätze oder projizieren kurze humorvolle Texte und freundliche Bilder per Power-Point-Präsentation an die Wand. Man verspricht Hilfe in allen Lebenslagen, sogar bei Arbeitslosigkeit. Dieses Angebot finde ich sehr freundlich und werde bestimmt darauf zurückkommen. Alle wichtigen Themen werden angetippt: Arbeit, Freizeit, Familie, Bildung und sogar Religion. Zumindest sind das die Bereiche, die die Stadt Zürich in Gestalt der drei Damen wichtig findet. Ich persönlich finde Klimaschutz ja viel wichtiger als Religion und über Haustiere, Essen und Trinken und öffentliches Knutschen müsste man auch dringend mal sprechen.

Aber gut, reden wir also über Religion. Religionsfreiheit ist nämlich ein wichtiges Gut in der Schweiz. Naja, so lange man keine Türme dafür braucht jedenfalls (Hä?). Aber darüber wollen wir an diesem Abend lieber nicht sprechen, eigentlich betrifft es ja auch niemanden. Es sind nur zwei Muslime da, niemand ist verschleiert. Und dass sich ein paar Deutsche unangenehm erinnert fühlen an faschistische Suggestivästhetik, ist jawohl ein Einzelfallproblem. Selbst schuld, wenn man sich den „ewigen Juden“ und andere Glanzstücke der nationalsozialistischen Filmindustrie angesehen hat und nun vor jeder zweiten Plakatwand daran denken muss. Nein, wir wollen uns alle liebhaben an diesem Abend. Harmonie-hie-hie ist eine Strategie.

Später werden wir nach Sprachgruppen getrennt durch die Zürcher Altstadt geführt. Nur wenige historische Hinweise, das wäre ja auch viel zu trocken für solch einen vergnüglichen Abend, dafür ganz viele praktische Tipps. Welch ein Glück, dass ich die schönen Plätze schon entdeckt habe, bevor eine drahtige Stadtführerin im Rentenalter Gelegenheit hatte, mir mit verschwörerischem Augenzwinkern zu verkünden, dass sich dort im Sommer das junge Volk treffe. (Thomas D., seines Zeichens gelernter Friseur, hat einmal in einem Interview gesagt, dass er jedes Friseurgeschäft wortlos verlassen muss, wenn man ihn fragt ob’s auch „etwas Freches“ sein dürfe.) Überhaupt dieser Stadtführer-Humor, immer nur ein bisschen anzüglich, nie zu sehr, und immer so unerträglich konsensfähig. Werden die damit geboren oder besuchen sie spezielle Stadtführer-Schulungen? Gibt es Witz-Datenbanken, nach historischen Gebäuden geordnet? Die anderen in meiner Gruppe finden das charmant und lachen immer an den richtigen Stellen. Liegt's an mir?

Nach dem Auslauf betrinken wir uns alle gemeinsam und sollen uns kennenlernen. Warum eigentlich? Wäre es nicht integrationsfördernder Schweizer zu treffen? Zumal ja, zumindest laut Ivo Marusczyk, die meisten Deutschen das alleine nicht hinkriegen. Nun gut. Ich lerne also kennen und rutsche prompt in die Parallelgesellschaft ab: Ich verabrede mich mit anderen Deutschen zum Skat spielen. Egal, von Integration war ja nie die Rede, dafür gibt es eigene Integrationsabende, wo man lernt, wie man Weckli kauft, und übt, richtig Grüezi zu sagen. Schweizer treffen kann man da zwar auch nicht, aber vielleicht klappt's dann endlich mal mit dem Nachbarn.

1 Kommentar:

  1. Noch ein bisschen mehr V. vor dem Schlafengehen...sehr gut.
    Die Integrationsabende solltest Du unbedingt mal ausprobieren. Da kommt bestimmt ein schöner Blogeintrag bei raus...

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