Dienstag, 14. Juli 2009

Der Morgen nach der Zukunft

Zürcher und Zürich-Kenner werden bei dieser Formulierung wissend lächeln, manch anderer fühlt sich vielleicht an Achtziger-Jahre-Zeitreise-Geschichten oder Nuller-Jahre-Katastrophenfilme erinnert. All diesen sei erklärt: in Zürich ist die Zukunft ein Club, vermutlich der bekannteste der Stadt. Und so ist der Morgen nach der Zukunft wohl meist ein von Kopfschmerzen und verschwommenen Erinnerungen geprägter.

Im Übrigen geht man in Zürich abends nicht aus, sondern man geht „in den Ausgang“ – eine Formulierung, die mich sofort an Gefängnishöfe denken lässt. Und tatsächlich begann eines meiner ersten Zürcher Ausgeh-Erlebnisse auf einem Kasernenhof, nämlich letzte Woche beim Caliente-Festival. Ich befand mich noch auf Wohnungssuche und trug quasi immer und überall meinen Laptop mit mir herum, um bei jeder Gelegenheit im Netz nach neuen Angeboten zu suchen. Und nicht nur wegen der riesenhaften und schweren roten Laptoptasche auf meiner (riesenhaften und schweren) Hüfte fühlte ich mich dort als Fremdkörper. Aufgedrehte, leicht bekleidete Latino-Frauen bewegten sich zu sogenannten heißen Rhythmen und trotz meiner fröhlich-interessierten Laune schien mir das alles ein bisschen aufgesetzt zu sein. Nach einem dort erstandenen Dosenbier brauchte ich sehr dringend eine Zigarette und ein bisschen Abstand und so versuchte ich mich unauffällig abzusetzen. Doch ich war nicht die einzige in der Gruppe, die es fortzog: eine Schwester im Geiste bot sich an, mir die sagenumwobene Langstrasse zu zeigen.

Immer wenn ich Zürich-Kenner gefragt hatte, wo man hinziehen könne, hatte die einmütige Antwort gelautet: nicht in die Langstrasse, da gibt es Prostituierte, Drogen und Einbrüche. Ohne die Zürcher Dogenszene verharmlosen zu wollen, muss ich doch gestehen, dass mir die Gegend an diesem noch hellen Sonntagabend und verglichen mit dem Kottbusser Tor fast idyllisch erschien. Durch ruhige Seitenstraßen mit schmucken Wohnhäusern gelangten wir auf die verrufene Meile. Dort flüchteten wir vor einem sich mit heftigen Windstößen ankündigenden Gewitter in den Longstreet Club, wo ich endlich zu meiner ersehnten Zigarette kam. Ich bestellte mein Panache so, wie ich es aus meinem Stammcafé gewohnt war: ein Bier und ein Glas Sprite bitte. Das nun folgende Ritual des Zusammengießens führte zu großer Erheiterung bei meiner Begleitung und dem Barpersonal. Ich hätte mein Radler auch direkt haben können – nur im Emo wird selbst gemischt, weil es kein Fassbier gibt. Und ich hatte an diesem meinem vierten Tag in Zürich noch geglaubt, es handle sich um ein Exotengetränk, das man hier kaum kenne und das ich deshalb von Hand und vor aller Augen selbst zubereiten müsse. Aber nicht nur wegen meiner Gläser-Menagerie fielen wir Frauen in dem Raum voller gut aussehender und leicht bekleideter Männer auf: wir hatten die Gay Night erwischt.

Nun, an dem Abend in der Zukunft bin ich schon viel routinierter und trinke von vorneherein ungestrecktes Bier, weil zum richtigen Ausgehen auch ein richtiger Schwips gehört. Für meine Begleitung bestelle ich süß gespritzten Weißwein (Weißwein + Sprite + Zitronenstücke – die Schweizer kennen sich eben doch aus beim Panschen!), erhalte jedoch etwas, das verdächtig nach Wodka-Lemon aussieht und auch so riecht. Sie trinkt es trotzdem. Das Bier kommt in der Zukunft im Plastikbecher, aber ansonsten gibt es nichts auszusetzen. Die Musik ist funky, das Publikum angenehm fröhlich und locker. Die Dekoration aus Tausenden von Discokugeln gefällt mir sehr und fast möchte ich eine fotografierende Touristin bitten, mir das Bild zu mailen, denn diesmal bin ich ohne rote Tasche unterwegs: kein Laptop und keine Kamera. Das Beste an der Zukunft aber ist ihr Name, denn nun werde ich regelmäßig sagen können: Ich war gestern in der Zukunft. Auch wenn der Preis dafür immer ein Morgen danach ist.

1 Kommentar:

  1. Klingt wirklich sehr cool! Und ich freue mich, dass Du ein Blog hast ;)
    Hannah

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