Sonntag, 9. August 2009

Street Parade: Techno ab ins Altersheim?



Jedes Jahr im Spätsommer teilt sich die Zürcher Bevölkerung für ein Wochenende in zwei Lager, die sich mit völligem Unverständnis, wenn nicht gar mit Feindschaft begegnen. Während die eine Hälfte der Stadtbewohner bereits am Donnerstagabend panisch ins Hinterland aufbricht, freuen sich die anderen schon das ganze Jahr auf drei Tage Party. Als ich ahnungslos an eben jenem Wochenende meine Einweihungsfeier ansetzte, erntete ich von letzteren entsetzte Reaktionen. „Aber da ist doch Street Parade!“ – „Die ist doch am Samstag, meine Feier am Sonntag!?“ – „Aber da sind wir doch müde!!!“ Diejenigen meiner Freunde, die zur anderen Hälfte der Zürcher gehören, zeigten sich deutlich kooperationsbereiter, indem sie alle versprachen, ihre Kurztrips zu verkürzten, um am Sonntagabend rechtzeitig zum Brätele (Grillen) bei mir zu sein.

Ich war ja eigentlich der Meinung, Techno-Paraden seien kurz nach der Jahrtausendwende untergegangen. Doch in Zürich, so lasse ich mir sagen, sei das alles ganz anders. Hier kämen immer noch jedes Jahr 1 Million Menschen zu einer solchen Veranstaltung; hier wäre das noch nicht kommerzialisiert, jedes Love Mobile gehöre zu einem Zürcher Club oder höchstens zu einem Radiosender (und sei also nicht nur Werbeträger für multinationale Getränkehersteller o.ä.) und – am wichtigsten: hier sei es noch eine Party der Techno-Fans und kein Familienfest wie ihn Berlin, wo es einfach zu viele kleine Kinder gäbe. In Berlin sei die Love Parade also an der Verbürgerlichung der Fans zugrunde gegangen, höre ich heraus. Mit meinen zugegebenermaßen provokativen Einwand, dass vielleicht die Street Parade noch am Leben sei, weil die Schweiz hier wie in anderen Dingen (sagt zumindest das Klischee) einfach zehn Jahre Verspätung habe, ernte ich nur eisiges Schweigen.

Also will ich der Sache eine Chance geben: feiert man hier tatsächlich lebendiger, anarchischer und bunter als bei allen anderen Techno-Events? Die Vorabrecherche auf der offiziellen Website des Vereins bringt Ernüchterndes zu Tage. Unter der Rubrik „Tun und Lassen“ werden nicht nur Wasserpistolen und Trillerpfeifen geächtet, nein es wird auch vor Alkohol und Drogen gewarnt (vor allem in Kombination), es wird dazu aufgefordert Ohren vor Lärm und Wangen vor Sonneneinstrahlung zu schützen, nicht an Hauswände zu pinkeln und immer schön nett zueinander und auch zur Stadtausstattung zu sein („keine kletterübungen: An der Parade könnt Ihr zwar ruhig abheben, aber bitte verschont die Ampeln, Verkehrssignale, Bäume und Wartehäuschen.“). Und auch die Stadt tut ihren Teil, um Ordnung zu bewahren: Jene Bäume und Büsche entlang der Strecke wurden bereits vor Tagen mit Bauzäunen weiträumig abgeriegelt (damit sollte es zwar gelingen, das Besteigen weitgehend zu unterbinden, die durchschnittliche Pissweite eines biergefüllten Paradisten wurde jedoch signifikant unterschätzt). Ein seltsames Bild ist das im Vorfeld: das Grün so geschützt zu sehen vor einem noch gar nicht vorhandenen Angriff. Es ergreift mich die Vermutung, dass vor allem geordnet gefeiert wird.

Am Tag der Parade selbst, regnet es bereits morgens in Strömen. Nur aus Pflichtbewusstsein kämpfe ich mich durch die abgesperrten Seitenstraßen bis zum See vor, von wo laute Musik zu hören ist (übrigens meist nur wenige, zum Teil altbekannte Hits und kein innovativer Anarcho-Sound). In der Seehofstrasse stehen zwei junge Männer mit griesgrämigen Gesichtern und nackten Oberkörpern unter einem Vordach und wringen gemeinsam ihre T-Shirts aus. Die Räume zwischen den Love Mobiles sind weit und nur wenige Tänzer bieten dem Wetter hartnäckig die Stirn, oben ohne oder mit Plastiküberzug. Durch den Regen ist es, als hätte jemand im Club das Licht angemacht: man kann sich nicht in Alkoholrausch und blendendem Sonnenschein verlieren, sondern muss in der grauen Nässe gnadenlos erkennen, wie absurd das eigene Tun ist. Natürlich haben auch hier die großen Getränkehersteller ihre Finger im Spiel und die Aufforderung "Enjoy Heineken responsibly" an den grünen Ständen, erscheint mir ziemlich schizophren und enthält gleich zwei Dinge, die wenn nicht gleich nicht lebendig, so doch zumindest in keiner Weise anarchisch sind: Kommerz und maßvolle Ordnung. (Tatsächlich landen nur 63 von 600.000 Besuchern wegen zuviel Alkohol bei den Sanis. Nur wenige mehr als wegen Unterkühlung behandelt werden mussten...) Ich besichtige noch andere Orte, doch nur an einer Stelle kann mich die Stimmung kurz packen: an der Münsterbrücke spielt jemand Techno unplugged. Und obwohl die Hauptschuld sicherlich den Regen trifft, bleibt bei mir das Gefühl zurück, dass das Paradesterben auch die Schweiz bald erreichen könnte.


Regenschutzlösungen bei Street Parade-Besuchern

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen