Dienstag, 29. September 2009

Physische Völkerverständigung

Nur um Urs Lügen zu strafen (er behauptet, das Ende meines Blogs sei bereits abzusehen), kommt hier noch ein 5. Beitrag im Monat September. Dass ich mich hier in der Schweiz sehr willkommen fühle, ist kein Geheimnis. Die Schweizer sind einfach viel netter! Gestern erst wurde ich in neun Sprachen (von denen ich zwei nicht einmal identifizieren konnte) von der Stadt Zürich zu einem Willkommensrundgang mit anschließendem Apéro eingeladen. Heute rettete eine Passantin meinen Lieblingspullover und als ich neulich im Ausgang beklaut wurde, hat der Gentleman-Gangster doch nur das Bargeld genommen und das komplette Portemonnaie wieder in meine Tasche gesteckt. Und hier wird viel mehr geflirtet als in Berlin, wo ein langer Blick schon als uncool und anhänglich gilt.

Doch, o Schreck, bei meinen unermüdlichen Recherchen zur schweizer-deutschen Völkerverständigung stieß ich heute auf dieses Zeugnis Schweizer Herzlichkeit.
Abgesehen von den ernsten Selbstzweifeln, die mich angesichts dieses schrillen Schweizer Online-Magazins erfassten (Ist mein Blog eigentlich zu brav und zu reizarm? Sollte ich mehr über Drogen und Sex berichten und wenn ja, würde ich dazu die Gonzo-Methode anwenden müssen?), war ich zunächst entzückt: Wieder ein Schweizer, der mich willkommen heißt, und mich noch dazu mit einem Gänseblümchen vergleicht! Doch beim Weiterlesen dämmerte mir bald eine schreckliche Erkenntnis:

Die Schweizer Männer denken, wir deutschen Frauen seien lockerer (und erfahrener). Die deutschen Frauen (ich eingeschlossen) finden die Schweizer Männer unkomplizierter. Könnte es sein, dass wir alle einem urbanen Mythos aufgesessen sind? Am Ende sind wir alle genau gleich verklemmt und verhalten uns nur anders, weil das Gegenüber ja schließlich leicht rumzukriegen sein muss, als deutsche Frau / Schweizer Mann. Ich erinnere mich an den Abschlussabend einer Jugendfreizeit, wo wir Betreuer ca. 30 Vierzehnjärige sturzbetrunken gemacht haben mit der Behauptung, es befände sich Alkohol im Punsch. Und nun muss ich mich fragen: Bin ich wie ein Teenager einem berauschenden Schwindel aufgesessen??? Und nicht nur ich! Tausende von Disco-Knutschereien und Badi-Flirts basieren auf nichts als einem Missverständnis! Und was passiert, wenn das auffliegt?

Liebe Schweizer Männer: wir brauchen sofort einen Pakt! Lasst es uns machen wie Eltern. Sie erzählen doch immer allen Kinderlosen, wie herrlich die Kleinen sind und dass sie einen für die unsäglichen Geburtsschmerzen und die durchwachten Nächte und all das andere Ungemach millionenfach entschädigen. Nur untereinander erlaubt es ihnen das ungeschriebene Gesetz zu klagen; nur wer sich bereits reproduziert hat, darf die Wahrheit kennen. Machen wir es auch so! Lasst uns im Namen der Völkerverständigung den Mythos des lockeren Schweizers und der scharfen Deutschen aufrechterhalten! - Und über unsere Verklemmtheiten reden wir dann mal heimlich unter uns, wenn das Licht aus ist und keiner zuhört, ja?


Psst, Ihr Hübschen, schön den Mund halten!

2 Kommentare:

  1. zum glueck sitz ich jeweils, wenn ich das lese, aber ich laufe irgendwie immer gefahr, vom stuhl zu fallen ...

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  2. Glaubst du, es muss dunkel sein, damit einen niemand hören kann? Manchmal glaube ich das nämlich auch, aber logisch ist es nicht, oder? (Solange man nicht glaubt, dass einen niemand hören könnte, nur weil es dunkel ist, scheint es mir aber harmlos zu sein.) Ansonsten (Schweizerdeutsch?): Dein lustigster Artikel bisher, würde ich sagen. (Komische Mythen haben die in der Schweiz.)

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