Sonntag, 27. September 2009

Schiess-Blog

Schiessen heißt in der Schweiz nicht unbedingt immer das, was man erwartet. Wij sagt man hier zum Wein; wiiss ist weiß und schiessen heißt eben? richtig geraten. Ein Tüpflischiesser ist also auch keiner, der Pünktchen abfeuert, sondern – ein Korinthenkacker. Schießen heißt auf Schweizerdeutsch dann übrigens schüüsse. Liebe heißt deswegen allerdings noch lange nicht *Lüübe, sondern Liebi, und Ei bleibt Ei. Versteh einer dieses System. Aber zurück zum Thema. Dieser Blog dreht sich nicht um Exkremente oder ums Schweizerdeutsche, sondern tatsächlich um Waffen.

Ich war nämlich vorletzte Woche auf dem Knabenschiessen – das heißt im Original übrigens Chnaabeschüüsset, um dem ersten Missverständnis schon einmal vorzubeugen. Aber auch, wenn man das weiß, gibt es noch zahlreiche Möglichkeiten, sich etwas Falsches darunter vorzustellen. Die erste Vermutung ist meist, dass auf kleine Jungs geschossen wird. Dann gibt es noch ein paar vergnüglichere Thesen wie zum Beispiel, dass es sich um ein Paintballfestival handeln könnte (eine argentinische Freundin) oder um ein Partyspiel zur Pärchenbildung , bei dem sich Mädchen den passenden Knaben ‚erschießen’, indem sie wie auf der Kirmes mit Bällen oder Luftgewehren Dosen o.ä. umhauen (das war natürlich eine Fantasie von mir, dem alten Spielkind.)

In Wahrheit ist es einfach genau das, was der Name verspricht: Knaben schießen. Und zwar um die Wette. Seit 1991 dürfen zwar auch die Mädchen im Alter von 13 bis 17 mitmachen, aber der Name dieses traditionellen Volksfests wurde deswegen nicht geändert. Naja. „Kinderschiessen“ klänge wohl auch nicht weniger makaber.

Nicht nur der Name dieses Zürcher Feiertags hatte mich neugierig gemacht, die Chilbi (Kirmes) begann quasi gleich hinter meinem Haus, ich sah Familien vor meinem Fenster vorbeipilgern und wollte auch dahin. Und dann habe ich ja auch noch geschworen, hier jeden Schiiss mitzumachen, vor allem, wenn es sich um etwas Schweizerisches handelt (nicht zuletzt um des Blogs willen). Für meinen ausstehenden Beitrag über das Schweizer Essen fresse ich mich also in reiner Pflichterfüllung erstmal an der Budenstraße entlang. Bei den Fahrgeschäften angekommen, ist mir bereits leicht schlecht. Wir kämpfen uns zum Schießstand durch.



Dort sieht es aus wie Krieg. In einer riesigen Halle liegen mindestens 50 Kinder und ballern mit aufgestellten Sturmgewehren auf 300m entfernte Zielscheiben. Auf großen Monitoren werden die Punkte gezählt, das System durchschaue ich allerdings nicht. Aber ich weiß, dass es am Ende einen Schützenkönig geben wird. Es klingt natürlich auch wie Krieg. Am Eingang steht ein Priester, der darauf achtet, dass alle ihren Gehörschutz tragen. Ich frage meinen großen blonden Begleiter, warum da ein Priester ist. Er antwortet trocken: falls einer Amok läuft. (Als ich das später Martin erzähle, wendet er messerscharf ein: Wenn einer Amok läuft, erschießt er als erstes den Priester. Martins Blog zum Thema)



Die Schweizer haben auf jeden Fall eine ganz andere Beziehung zu Waffen als die meisten Deutschen. Quasi die ganze (männliche) Schweiz ist schließlich eine einzige Armee, das heißt, jeder hat irgendein Verhältnis zu seiner Schusswaffe und sei es ein gespaltenes. Zudem dienen laut der Corporal Identity der Schweizer Armee Waffen ausschließlich dem Zweck der Verteidigung und sie sind insofern selbst für politisch korrekte Menschen nicht zwangsläufig pfui. (Die Schweiz wird ja auch nicht am Hindukusch verteidigt, aber dazu vielleicht ein andermal mehr.) Doch wenn ich mir überlege, dass quasi jeder Mann zwischen 20 und 45 ein Sturmgewehr im Keller hat, wird mir schon ein bisschen anders. Im Ernstfall muss man die Waffe gleich in die Hand nehmen können und sollte sich nicht erst am Zeughaus anstellen müssen, so lautet das Argument für die sogenannte Heimabgabe von Armeewaffen.

Leider ist es ja nicht so, dass dabei nichts passiert. Erst vor kurzem wurde hier unter großer medialer Anteilnahme ein junger Mann verurteilt, der, vermutlich ohne das Buch zu kennen, den „Fremden“ von Camus nachgestellt hat. Auch kommt es hin und wieder zu Unfällen im Zusammenhang mit den obligatorischen Schießübungen. Da fängt man schon an, sich zu fragen, ob es nicht längst Zeit wäre für neue Waffengesetze. Doch offenbar sitzt die Schweizer Angst vor plötzlicher Invasion sehr tief; die Reformen brauchen Zeit und sind bei Weitem nicht so konsensfähig, wie man vermuten würde. Immerhin haben die genannten Fälle die Debatte neu befeuert. Und sie waren Auslöser von Sammelaktionen für alte Waffen, die von ihren Besitzern nicht mehr benutzt werden. Skurrile Szenen sollen sich dabei abgespielt haben.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen