Samstag, 5. September 2009

Falsche Früünde

Eigentlich wollte ich nun endlich mal was über das Schweizerdeutsche schreiben. Doch ich musste mir eingestehen: ich weiß noch viel zu wenig darüber. Weder kann ich die (sehr unterschiedlichen) Deutschschweizer Dialekte zuverlässig auseinanderhalten, noch will es mir gelingen, Sätze oder gar Gespräche zu transkribieren.

Was die Unterschiedlichkeit der Dialekte angeht, so ist ein intensives Zuordnungstraining hier überlebenswichtig. Denn es herrschen tiefgreifende Animositäten zwischen den einzelnen Völkchen, die zumindest für den Außenstehenden vollkommen undurchschaubar sind. Das führt natürlich dazu, dass ein Schweizer unter Umständen sehr beleidigt ist, wenn man seinen Dialekt nicht erkennt und etwa einen Stadtzürcher fragt, wo er denn herkomme. Wenn man einen Zürcher mal richtig ärgern möchte, muss man ihn nur arglos fragen, ob er ein Aargauer sei. Der Aargau ist ein hügelliger Kanton nordwestlich von hier, zwischen Zürich und Basel gelegen. Gegen seine Bewohner gibt es in Zürich viele Vorurteile, zum Beispiel sagt man, dass sie unmöglich Auto fahren und immer weiße Socken tragen. Oft wird „Aargauer“ einfach synonym verwendet für „Landei“ oder „Bauerntölpel“. Noch weniger gern aber hat der Zürcher Basel und die Basler, was dazu führt, dass er auf das Wort „Basel“ gerne mal mit „Was? Wo? Das kenne ich nicht.“ reagiert, so wie ein Gallier, der auf Alesia angesprochen wird. Es könnte sein, dass das etwas mit Fußball zu tun hat, was sich aber schwer verifizieren lässt, da eben keiner drüber redet. Jedenfalls behaupten Zürcher und Basler bei jeder Gelegenheit, dass der Dialekt des anderen arrogant klinge; Basler finden Züridüütsch hart, Zürcher finden Baseldüütsch deutsch, was eigentlich fast das Gleiche ist.

Hier gibt es jedenfalls Haufenweise Gelegenheit in Fettnäpfchen zu treten und es ist mir vollkommen schleierhaft, warum einer der ca. 2000 Benimm-Ratgeber für Deutsche in der Schweiz (habe leider vergessen welcher) dazu rät, bei einem stockenden Smalltalk das Gespräch auf die Dialekte zu lenken, weil dazu jeder etwas zu sagen habe. (Diese Bücher sind übrigens noch ein ganz eigenes Thema… Die Ratschläge klingen meist wie Befehle und nicht selten hat man das Gefühl, man soll auf eine Reise in die hinterletzte Ecke der Erde vorbereitet werden, wo bösartige, unversöhnliche Eingeborene einer seltsamen Religion anhängen und keinen Kontakt zur Außenwelt pflegen.)

Also, da ich über das Schweizerdeutsche noch (lange) nicht schreiben kann, berichte ich zunächst mal von einigen Schweizer-deutschen Missverständnissen. Immer wieder gerne erzählt wird etwa die Geschichte der Bekannten einer Kollegin. Als sie an ihrem neuen Arbeitsplatz in Zürich ankam, zeigte ihr der Hausmeister das Gebäude, gab ihr die Zugangscodes und verabschiedet sich schließlich vor ihrem Büro mit den Worten: „Sie bekommen dann noch ein Telefon von mir“. „O wie schön“, dachte sie, „ein zweites Telefon – vielleicht gar ein Betriebshandy?“ Stolz berichtete sie einer neue Kollegin, dass sie bald noch ein Telefon erhalten würde. Nach einer kurzen Nachfrage brach die Schweizer Kollegin in schallendes Gelächter aus: alles, was die neue Mitarbeiterin vom Hausmeister bekommen würde, war ein Anruf.

Mir wäre beinahe etwas Ähnliches passiert, als mein Chef mir erzählte, dass er an der Abdankung eines wenige Tage zuvor verstorbenen Dichters teilnehmen würde. Ich wollte ihn darauf hinweisen, dass der Mann tot war und daher sicher keinen Wert mehr auf eine förmliche Pensionierung legen würde; doch ich ahnte bereits, dass etwas faul war. Der Verstorbene war ja schließlich kein Politiker gewesen. Es stellte sich heraus, dass Abdankung das hier gängige Wort für Trauerfeier ist. In meinen Ohren klingt es noch immer makaber.

Und hier meine Lieblingsgeschichte: Eine schwangere Kollegin wunderte sich sehr, als sie ihre Mutterschaftsunterlagen unter der Überschrift ‚Buschi Schmidt’ zugestellt bekam. Handelte es sich um eine Verwechslung? Oder kannte die Krankenkasse ihren Vornamen plötzlich nicht mehr? Oder war das etwa ein skurriler Namensvorschlag für das Ungeborene? (Welche Unverschämtheit, noch dazu, wo das doch eher nach einem Pornostar klang, als nach einem respektablen neuen Mitbürger!) Nein, nichts dergleichen. Mein schlaues Büchlein mit schweizerischen Ausdrücken (Susann Sitzler: Aus dem Chuchichäschtli geplaudert. München und Zürich: Pendo, 2008) vermerkt unter Buschi: „Die meisten Buschi haben einen hohen => jöö-Faktor. Das gibt sich automatisch, wenn sie etwas größer werden und sich zu normalen => Goofen entwickeln. In den ersten Jahren findet man sie aber süß. Das gehört sich so für Babys. Buschi bedeutet ‚Baby’ auf Schweizerdeutsch […]“ Dies erklärt zwar einiges, es bleibt allerdings ein Mysterium des Alltags, dass mir noch kein Schweizer begegnet ist, dem dieses Wort geläufig wäre. Das erwähnte „Jöö“ hingegen ist sehr verbreitet und mein absolutes Schweizer Lieblingswort. Es drückt Rührung und Entzücken aus und zwar so gut, dass ich nie wieder „süß“ oder „ach je“ sagen möchte.

Ein richtiger Freund ist übrigens der Schweizer „Kolleg“. In der Schweiz bezeichnet man nur die engen Freunde als Freunde, alles andere sind Kollegen, auch wenn die mit der Arbeit überhaupt nichts zu tun haben. Bekannte wiederum sind dann nur die entfernten Bekannten. Eine Feier mit den Kollegen ist also nicht zwangsläufig eine Betriebsbesäufnis und man sollte auf keinen Fall beleidigt sein, wenn einen der neue Freund, den man von der Arbeit kennt, ‚nur’ als „miin Kolleeg“ vorstellt.

1 Kommentar:

  1. ich lieg mal wieder am boden und lach ...

    ein paar links zum thema:
    http://de.wikipedia.org/wiki/Z%C3%BCrichdeutsch
    http://www.idiotikon.ch
    http://www.dialektwoerter.ch
    http://www.dialekt.ch/mp3/zuerich.htm
    http://www.spraach.ch/zuerich/reden.html
    http://www.schweizer-deutsch.ch/
    http://als.wikipedia.org/wiki/Z%C3%BCrichdeutsch
    http://gaby-paul.freepage.de/woerterbu.htm

    buschi kene ich allerdings eher von baslern, hier kenne ich eher chlises chind, bebeli oder beibi

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